Mein Name ist nicht Schall und Rauch.

Alle Namen im Orient haben eine Bedeutung. Meiner auch.

Den Rufnamen Cem hat mir meine schwedische Mutter gegeben. Meine Eltern waren davon ausgegangen, dass wir nach meiner Geburt in Istanbul für den Rest unserer Tage in der Türkei leben würden. Daher der Name, der auch der Name eines Prinzen und Sultananwärters  im Osmanischen Reich war, dessen Leben sogar einige Parallelen zu meinem aufwies und der in der Diaspora gestorben ist. Mein Vater hatte mir als zweiten Namen noch Ahmet mitgegeben. Es kam alles ganz anders. Wie immer. Das Leben ist nicht vorhersehbar und nicht wirklich planbar.

1955 gabe es Pogrome in Istanbul und in der Türkei und meine Eltern sind unmittelbar danach aus Angst um das Leben meiner Mutter und mir weggegangen. So bin ich als Steppke in ihrem Schlepptau, gewissermaßen im Schuhkarton, vom Rand Europas auf dem Umwege über Schweden nach Hamburg gekommen. Doch das ist eine andere Geschichte.

Zurück zu meinem Namen. Ausgesprochen wird er „Dschämm“, wenn ich ihn deutsch transkribieren würde. Im türkischen wird ein C immer wie ein „Dsch“ ausgesprochen. Fälschlicherweise wird das C in Deutschland zu oft wie „Tsch“ ausgesprochen. Doch das ist ein anderer Buchstabe. Also mich immer mit „Dschämm“ ansprechen. Nur, dass ihr es wisst. Übrigens habe ich von den einzigen drei Frauen, die es auf Anhieb richtig ausgesprochen hatten, gleich zwei geheiratet. Soviel dazu. Nacheinander natürlich. Der dritte Fall ist schwebend.

Der Rufname Cem ist eigentlich arabischen Ursprung. Er bedeutet die Gemeinschaft, Cem, Cem’aat, Cem’an, die Gemeinde, die religiöse Versammlung. Er ist der Wortstamm beispielsweise für die Republik, arabisch Dschamhariye oder türkisiert Cumhuriyet, so wie in dem offiziellen Namen der Türkischen Republik, Türkiye Cumhuriyeti. Bis heute heißt der Versammlungsort bei den Aleviten: Cem. Auch wenn ich Sunnit bin. Es gibt auch einen persischen Ursprung des Namens. Das war der Name des sagenumworbenen Gründers des persischen Reiches. In der persischen Literatur und persischen Poesie des frühen Mittelalters auch vergleichbar dem Dionysios, dem Weingott. Arabisch und vorallem Persisch waren die Hofsprachen im Osmanischen Reich. So wie heute Englisch und in der Diplomatie Französisch als Lingua Franca in diesen Breitengraden.

Ahmet ist arabisch und bedeutet der Preiswürdige, der Empfehlenswertere. Einer der häufigsten islamischen Vornamen. „Ahmet Cem“ ist also eine ziemlich bedeutungsschwangere Vornamenskombiantion. Doch es sollte alles ganz anders kommen. Aber das kennt ihr ja schon.

Nun zum Familiennamen. Da ist es komplizierter. Türken hatten keine Familiennamen wie üblich im Orient bis 1934 mit der Familiennamensgesetzes. Man identifizierte sich über den Namen des Vaters und seinem Titel. Für meinen türkischen Vater Abdullah Sami Sohn des Kitabi Hamdi Efendi (und hier), einem Kaufmann und Verleger aus Trabzon, am Schwarzen Meer und kurz vor der Grenze zum heutige Georgien. Mein Großvater und sein Cousin hatten sich zusammengesetzt bei einigen Tees und überlegt welchen Familiennamen sie sich ausdenken sollten, wie alle anderen türkischen Staatsbürger in der neugegründeten Republik damals auch. da alle ihre Vorfahren nachweislich bis ins 17. Jahrhundert islamische Geistliche, Imame waren, habe sie sie sich nächst Imamoğlu genannt, Söhne des Imams. Doch kurz nach der Eintragung fanden sie diesen Familiennamen nicht zeitgemäß, da sie Anhänger des Laizismus, also der Trennung von Staat und Religion, und der neuen Türkische Republik waren. nach einem Jahr haben sie sich dann in Başman erneut umbenannt. Baş („Basch“) ist das Haupt, das Haupt der Gemeinde, also der Imam. Und -oğlu („Söhne des“) fanden sie auch altmodisch und daraus wurde dann ein verwestlichtes „-man“. Daher Başman. Ausgesprochen „Baschmann“. Da damals alle Familiennamen gezwungenermaßen erfunden werden mussten, haben Türken zumeist einmalige Namen. Häufige Nachnamen kommen kaum vor. Wie bepielsweise Müller, Meier, Schulze. Und warum aus Ahmet ein Fredrik wurde, ist wiederum eine ganz andere Geschichte. Dazu ein andermal.

Warum ich das alles aufschreibe? Für meine drei Söhne. Wie immer. Damit sie wissen, woher sie kommen. Die schwedische Seite ist nicht minder verwirrend und verrückt wie sie zu ihrem Familiennamen kamen, übrigens. Doch auch dazu ein anderes Mal.

Das Familienerbe wird durch ihre Geschichten weitergegeben.

4 Kommentare zu „Mein Name ist nicht Schall und Rauch.

  1. Oh! Ah! Sehr spannend. Da muss ich im Kopf jetzt erstmal immer „umlesen“, hatte ich doch bsiher auch gedacht, es hieße Tschämm.

    Namensbedeutungen sind ein ganz wundervolle Sache. Ich bekomme immer den Eidnruck, dass unsere Leben irgendwie zu Literatur werden, wenn man sich damit beschäftigt, als wäre unsere Eltern und Vorfahren, denen wir unsere Namen verdanken die Autoren unserer Lebensgeschichten. Unnötig zu sagen, dass mir das sehr gut gefällt.

    In der Serie „Die Borgia“ spielt der von Dir erwähnte Namensvetter-Prinz überigens eine Nebenrolle, falls Du die noch nicht gesehen hast. Leider keine allzuglückliche Rolle.

    1. Danke, lieber ben_.

      Die ‚Borgias‘ habe ich auch gesehen. In Ausschnitten. Stimmt, Cem Sultan hatte keine glückliche Rolle. Seine Geschichte ist ebenfalls sehr zerrissen wohl gewesen. Bruderzwist ums Erbe und die Thronfolge, den sein Bruder denn auch gewonnen hat und Cem Sultan daraufhin nach Italien der Borgias geflüchtet ist.

  2. Ich meine, ich sage immer Jam. Wie Jim. Mit einem kaum hörbaren ‚d‘ davor. Aber vielleicht hört es sich auch nur für mich so an :) Danke für Deine Geschichte, Cem.

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