percanta, twittert seit November 2007, Blog: Soypercanta, Following 73, Followers 125, Updates 3,258
CemB: Was ist eigentlich der Spass an Twitter für dich?
Percanta: Vor allem: Mit Twitter ist man weniger allein. Ich sitze Stunden und Stunden und Stunden am Computer; natürlich lenkt die Twitterleiste auch von der Arbeit ab, die ich dort eigentlich zu tun habe und natürlich ist die Twitterei ein böser Zeitfresser – aber es ist manchmal auch tröstlich zu sehen, dass die anderen auch da sind. Ich freue mich über witzige, geistreiche Dialoge (egal, ob ich daran beteiligt sein sollte oder ob sie zwischen anderen Twitterern ablaufen, die ich lese) und über ebensolche Kommentare, die allein stehen bleiben. Das Arbiträre daran – hier eine treffende Beobachtung zu letzten Dingen, dort eine hübsche Formulierung zum Abendbrot.
CemB: Worüber twitterst du? Was twitterst du? Zu welchen Zeiten twitterst du?
Percanta: Ganz grob gefasst über das, worüber ich auch blogge: Privates.
Die Twitter-Frage „what are you doing?“ nehme ich nicht allzu ernst, obwohl das oft Ausgangspunkt der Tweets ist. Befindlichkeits-Twittern. Fragen (manchmal sind die Antworten sehr ergiebig, mal gar nicht). Antworten. Sorgen. Aufmunterungen. Freuden. Beobachtungen, die noch nicht blogreif sind. Kommunikation über den Gartenzaun, Plauderei, das ganz viel.
Seit einiger Zeit twittere ich zweisprachig; es hat mich erstaunt, dass mir – da es doch die Tweet-Länge und Lesbarkeit erheblich verändert – so wenige Follower abgesprungen sind. Das ist vielleicht auch ein Lerneffekt: Dinge sagen, wie ich sie sagen will. Auch wenn das vielleicht jemand doof findet.
Wann? Eigentlich immer, wenn ich am Computer sitze, und das ist im Moment fast rund um die Uhr so.
CemB: Hat Twitter deine Kommunikationsgewohnheiten verändert? Dein Leben bereichert?
Percanta: Jein. Telefoniert habe ich noch nie viel, mir kommt (Distanz-) Kommunikation über die Tastatur sehr entgegen. Twitter ist eine Fortsetzung meiner Kontaktpflege per Skype oder Mail. Nur ist sie nicht gerichtet – ich spreche hier nicht mit einzelnen Freunden (und wenn, dann mit Freunden, die ich über das Internet kennengelernt habe; und so ein Twitterdialog sollte aus Rücksicht auf den Rest der Twitterati nicht überstrapaziert werden, denke ich), und ob aus einzelnen Einwürfen ein Gespräch entsteht, ist nie klar. Twitter ist öffentlicher, stärker auf sich selbst bezogen als echte Gespräche, unverbindlicher – zugleich bildet sich aber doch eine Gruppe heraus, an die ich mich vorrangig richte. Mein Twittergrüppchen war zunächst ein kleiner, feiner Auszug meiner Blogroll im anderen Medium (angefixt hat mich @isabo_); heute ist meine Twitter-Peergroup nicht nur größer, sondern auch facettenreicher. Die sehr geschätzte Kerngruppe ist aber weiterhin dabei.
Ich habe mich verändert (ich bin Percanta. Mehr noch als durchs Blog), und mein Verhalten hat sich gewiss auch verändert: Wenn ich erst spät an den Computer gehe, bin ich tatsächlich versucht, mich für den späten Arbeitsbeginn zu rechtfertigen.
(Mein Mann ergänzt: Seit ich mit den argentinischen Twitterern rede, sei mein Spanisch deutlich mehr von Argentinismen durchsetzt. Dabei lebe ich ja auch außerhalb des Computers mit einem, que raro.)
Ja, es ist eine Bereicherung, aber wenn ich ehrlich zu mir wäre, könnte ich natürlich auch sagen, ich spare mir das alles und gehe mit der dadurch übrigen Zeit zu einem Freund im Offline-Leben und wir reden, ohne zu tippen. Wobei ich bemerke, dass weitere Internetaktivitäten eher andere Internetaktivitäten verdrängen und nicht so sehr (!) die Offline-Aktivitäten.
Twitter statt Chor kann ich mir nicht vorstellen (zum Glück!), Twitter statt Internet-Forum sehr wohl (dito!).
CemB: Nutzt du es für dein Networking? Wie drückt sich das für dich aus?
Percanta: Nein. Oder eher scherzhaft: Versichere mich beispielsweise bei Twitter, dass die Hamburger Twitterer mir bitte auch im echten Leben „followen“, wenn ich nach Hamburg ziehe. Was aber kein konkreter Plan ist. (Leider.)
CemB: Hast du durch Twitter neue Themen und Leute kennengelernt? Neue Impulse und Anregungen bekommen?
Percanta: Ja, Dich zum Beispiel. Ich kannte Dein Blog zwar, habe es aber nur unregelmäßig gelesen. Seit ich Dich bei Twitter lese und wir gelegentlich eine „gerichtete Nachricht“ austauchen, lese ich Dein Blog viel kontinuierlicher. Das geht mir bei einigen Twitterern so. Bei anderen genügt mir heute, was sie bei Twitter sagen, und ihre Blogs sind in den Hintergrund gerückt. Umgekehrt scheint mir die Distanz zu einzelnen Bloggern, die nicht twittern, gewachsen zu sein. Das ist eigentlich schade.
Ich habe, da ich ja auch einigen Südamerikanern folge, dort einige schöne Blogs entdeckt, und ich habe, das nur als jüngstes und fassbarstes Beispiel zu Horizonterweiterung, bei Twitter sehr interessiert ihre recht ungefilterten und durchaus divergierenden Kommentare und Einschätzungen während der letzten Krise Argentiniens verfolgt. Die kleinen Einblicke in den Alltag anderer können sich aber auf den Horizont aber ebenso positiv auswirken, all diese verschieden gestalteten Leben!
CemB: Nutzt du Twitter auch beruflich?
Percanta: Nein. (Oder nur, um mal schnell eine Frage loszuwerden, die mir eventuell jemand aus dem Kulturraum, mit dem ich mich befasse, ohne Recherche beantworten kann.)
CemB: Wie gehst du mit Followern um?
Percanta: Hm? Ich lade sie zu einem Begrüßungsumtrunk ein?
Am Anfang bin ich den meisten neuen Followern auch gefolgt, jetzt habe ich fast doppelt so viele Follower wie „Verfolgte“ und will die Zahl derer, denen ich folge, nicht wesentlich erhöhen. Ich gucke aber bei jedem neuen Follower, wer er ist, was (und wie!) er so schreibt, was für ‚Favoriten‘ er hat (das ist eine lustige Funktion – wer nur seine eigenen Kommentare unter Favoriten speichert, ist mir latent suspekt… Zu sehen, was die anderen (be)merkenswert, luzide, treffend finden, erscheint mir aufschlussreich); ich beobachte ihn also eine Weile und gucke dann, ob ich ihm auch folge. Gerade habe ich ein wenig den Überblick verloren, ich sollte mal wieder schauen, wer mich liest. (Noch schlimmer ist meine Blogroll… mach ich alles im August.)
Wenn ich umgekehrt jemanden gut finde, ihm folge und erscheine irgendwann auch auf dessen Follower-Liste, freue ich mich. Bei einzelnen Leuten, an denen mir etwas lag, war ich regelrecht enttäuscht, als sie mich „entfollowt“ haben.
CemB: Welche Twitter-Clients nutzt du? Twitterst du auch mobil?
Percanta: Nur das Plug-In bei Firefox. Nein, mobil nicht. (Und diese Grenze sollte ich denke ich auch nicht überschreiten.)
CemB: Siehst du Wechselwirkungen zwischen Blogs und Twitter? Oder mit anderen Plattformen?
Percanta: Ja, wie oben bei der Frage zu den ’neuen Leuten‘ schon gesagt. Außerdem reduzieren glaube ich viele Twitterer ihr Blog-Schreiben, oder sie lassen dort die Miniaturen raus. Ich habe letztens bei Twitter etwas erzählt und dann eine Direktnachricht bekommen, ich solle das doch mal bloggen. Habe ich nicht getan, aber als Versuchsballon funktioniert Twitter in Ausnahmefällen auch.
Bei mir hat sich durch Twitter vor allem die Präsenz in Foren drastisch reduziert, und da bin ich froh drum.
CemB: Was kommt nach Twitter?
Percanta: Im Alphabet der Netzbegriffe wohl der „User“.
Einige der Menschen hinter Twitter erscheinen mir sehr vertraut, bei manchen bin ich sicher, dass dieses Vertauen nicht eingebildet ist. Darum hoffe ich sehr, die Blogger und Twitter-User bald bei Eurer Lesung mit Stimme und in Farbe zu erleben. Cross the border, close the gap… ich glaube an eine Schnittstelle zwischen dieser Art der Kommunikation und der nicht digitalisierten.
PS: Andererseits ist ja das digitale Leben auch real. Habe gerade erst Deinen Kommentar unter dem Interview gesehen, und das zu lesen: „Sieben, denen ich besonders gerne folge, die intensiv twittern und die auch was zu sagen haben :-)“ und gemeint zu sein freut mich ganz real. Merci, lieber CemB.
Aus der Reihe: Interviews mit Twitterern. Geführt von CemB (Cem Basman). Das erste von sieben geplanten Interviews höchst unterschiedlicher Twitterer.