40 Mal, Erstes Mal

[Notiz vorweg: Das ist mittlerweile der zweite Repost. Ich kann mich von diesem Text nicht trennen. Es ist die eigentliche „About page“ über mich. Und fast zeitlos. Ich habe ihn mit Hilfe der Waybackmachine aus den alten Internetarchiven wieder zurück geholt. Original-Eintrag vom 26. Mai 2003. Kopiert aus meinem alten Blog. Weil es mir wichtig war. Und weil ich nicht will, dass es versehentlich verschwindet. Stoff für einen Entwicklungsroman in einem einzigen Post. Wenn ich je eine Bloglesung machen würde – das wäre der einizige Text, den ich da lesen würde.]

Meine erste Erinnerung
Ein grosser halbdunkler Raum. Am Ende auf der rechten Seite ein blendend weisser Vorhang, der leicht in den Raum weht. Ich liege auf einem Bett. Richte mich kurz auf und beobachte den Vorhang. Ich sehe dieses Bild nur in schwarzweiss. Ich muss vielleicht zwei Jahre alt gewesen sein. Vielleicht jünger.

Mein erstes Tier
Ich hatte nie eins. Ich mag zwar Hunde, Katzen und Mäuse. Aber nicht bei mir zuhause. Die einzigen Tiere, die ich bei mir dulde, sind die, die abends auf dem Teller liegen.

Mein erster peinlicher Moment
Kann ich mich nicht wirklich erinnern. Obwohl ich doch viele peinliche Momente gehabt haben muss. Bin eben Weltmeister im Verdrängen. Oder heisst es Bewältigen? Naja, ist auch nicht das schlechteste.

Mein erster bester Freund
Edward. Ganz klar. Wir lernten uns in der zweiten Klasse kennen. Und haben uns fast jeden Tag gegenseitig besucht. Ed und ich waren für die damalige Zeit Exoten in Hamburg. Ed war persischer Jude und ich türkischer Muslim. Die anderen in der Klasse waren Söhne ehrenwerter Hamburger Bürger (es war eine reine Jungsklasse). Nach der vierten Klasse hatten wir uns aus den Augen verloren. Mit dreissig haben wir uns dann in New York City wiedergesehen. Wir hatten uns wenig zu sagen. Ich bin nicht der Typ, der gerne in Erinnerungen schwelgt. Weisst du noch, damals … Nein.

Meine erste Nacht weit weg von Zuhause
Mein ganzes Leben war ich immer weit weg. Zuhause war immer da, wo meine Eltern gerade waren. Das erste Mal allerdings, dass ich von meinen Eltern getrennt war, war die Zeit als ich ein halbes Jahr weg aus Hamburg allein mit meiner Grossmutter in Schweden war. Eine resolute strenge Dame. In einem weissen Häuschen tief im hintersten einsamen Schweden. Meine Dorfschulzeit. Ein Raum. Ein Lehrer (Herr Magnusson). Und etwa 12 Schüler aus drei Jahrgängen. War eine ziemlich besondere Erfahrung. Ich war unendlich einsam.

Meine erste Liebe
Ich war dreizehn. Sie war die Mutter des Nachbarjungen. Ich war ziemlich verknallt. Und sie muss es, glaube ich gemerkt haben. Ob sie geschmeichelt war, weiss ich nicht. Ich glaube nicht.

Mein erster Kuss
Sybille aus Kiel. Tochter eines Bankfilialleiters. Wir wussten beide nicht so richtig wie es weitergehen sollte. Und dabei blieb es dann auch. Ich war Spätentwickler. Habe aber „alles“ aufgeholt …

Meine erste Entdeckung der Sexualität
Nochmal dreizehn. Freund von mir hatte Pornos mitgebracht. Ich entdeckte den Spass an mir selbst …

Mein erstes Fahrrad
Rothenbaumchausse. Geburtstag. Mein erstes Herrenrad mit Mittelstange. Mein erstes Fahrrad überhaupt. War ziemlich stolz. Bin damit Richtung Dammtor gedüst (bergab). Mehr recht als schlecht. Bin natürlich abgerutscht und hab mir die Eier am Rahmen zerschlagen. So fühlte es sich wenigstens an. Hab dann doch noch die Kurve gekriegt.

Mein erstes Auto
Ein VW-Käfer. Hellblau. Uralt. An jeder dritten Kreuzung blieb es einfach stehen. Kupplung schleifte fürchterlich. Es roch drinnen. OK. Es stank! Es hatte 500 DM gekostet. Es war meins! Und ich hatte es zu meinem achtzehnten Geburtstag. Das zählte.

Mein erstes Mal auf dem Motorrad
Und das letzte Mal. Mein Cousin hatte mich mal auf dem Sozi mitgenommen. Das reichte mir. Bin einfach kein Motorradfreak. Sorry.

Mein erster Flug
Kann ich mich nur schwer eninnern. Muss etwa zweieinhalb gewesen sein. Erinnere mich nur irgendwie daran, dass ich meinen Plüschhasen verloren habe. Meine Mutter erzählte mir, dass es eine Superconstellation der SAS war.

Meine erste Auslandsreise
Ich war immer im Ausland. Selbst als ich „zuhause“ war. Für mich der Normalzustand.

Mein erster Job
Sechzehn. Sommerferien. Verkäufer in der Fotoabteilung bei Hertie in Altona. Gibts nicht mehr. heute steht da das Mercado.

Meine erste Wohnung
Wohngemeinschaft in der Strasse „Rutschbahn“. Drei Studentinnen (Freundinnen meiner Freunde) und ich. Drei Jahre lang. Eine hübscher als die andere. Seitdem achte ich auf „innere Werte“. Seitdem „sehe“ ich Schönheit bei Frauen nicht so.

Meine ersten neuen Möbel
Spät. Nach meiner Scheidung. Es gab schon IKEA. Und ich bin dafür dankbar. Die Erstausstattung Küchenutensilien werde ich meinen Söhnen auch in die Hand drücken, wenn sie flügge werden. Und ich bin sicher, der Kartoninhalt wird dann auch noch der selbe sein wie damals.

Mein erstes tiefes Schuldgefühl
Mein Streit mit meinem Vater. Ich bedaure das zutiefst. Und ich hoffe, dass ich es noch rechtzeitig ihm sagen konnte. Ich hoffe es sehr. Diese Sache hat mich sehr beschäftigt. Es hat mich aber auch toleranter gegenüber meinen Kindern gemacht. Darin bin ich vielleicht sogar wie mein Vater geworden. Er war ein sehr gütiger und milder Mann. Damals habe ich ihn für mich als zu „gütig“ empfunden. Damals wünschte ich mir einen energischeren Vater.

Mein erster Kampf
In der ersten Klasse. Faust aufs Auge. Auge kaputt. Seit dem kann ich links nicht so gut sehen.

Mein erster Knochenbruch
Toi. Toi. Toi. Bisher verschont geblieben.

Meine erste Narbe
Windpocken. Ein hauchfeiner Ratscher auf der rechten Backe. Kaum zu sehen.

Mein erster Krankenhausaufenthalt
Nierenstein. Das war das schmerzhafteste, was ich bisher erlebt hatte.

Mein erster Autounfall
Vor etwa zehn Jahren auf regennasser Autobahn auf dem Weg zur Hannovermesse in einen nagelneuen weissen Mercedes reingerauscht, der seinerseits hinten aufgefahren war. Seitdem fahre ich recht vorsichtig.

Meine erste Begegnung mit dem Tod
Das Sterben meines Vaters. Ich war bei ihm.

Meine erste übernatürliche Erfahrung
Und bisher auch die letzte. Was ist passiert? Ich kann es schwer erklären. Poste ich später als gesonderten Beitrag. Auf eine gewisse Art, hat es mein Leben gerettet. Es hat sich bei mir tief eingeprägt und irgendwie mich danach bis heute gewissermassen in meinem unbewussten Verhalten beeinflusst.

Meine erste Platte
Cleerance Clearwater Revival. Auch CCR genannt damals.

Mein erstes Konzert
JIMI HENDRIX live auf Fehmarn im September 1970. Vierzehn Tage später starb er in London. JIMI war unser Held. Sicher mal einen gesonderten Beitrag hier Wert. Auf jedenfall – wir standen knöcheltief im Schlamm bei strömendem Regen und waren tierisch gut drauf. Wir waren erwachsen! Es war das grösste überhaupt für uns. Am nächsten Tag musste meine Mutter meine Erkältung mit Tee und Saft behandeln …

Mein erstes Mal im Fernsehen
Ilja Richters Disco. Die Sendung mit Golden Earring und Gary Glitter. Sowie ein Stück namens „Butterfly“. Wie hiess bloss dieser Franzose? Danyel Gérard. Ich hab’s jetzt nachgeguckt. Ich war mit einem Freund Kulissenpublikum. Man sah mich kurz bei einem Kameraschwenk …

Mein erster Film, den ich mehrmals sah
Star Wars. 1977. Dreimal in einer Woche. In der Premierenwoche sogar. In Amerika. Kansas. Aus Versehen. Ehrlich. But that’s another story …

Meine erste Begegnung mit der Polizei
Schwarzfahren als Schüler. Die Anzeige lag fünfzehn Jahre später noch in meiner Akte bei der Einbürgerung. In Deutschland geht nichts verloren.

Meine erste Wahl
Willi Brandt. Willi muss bleiben. Seitdem war ich bei jeder Wahl dabei. Wählen können ist für mich nicht so selbstverständlich gewesen.

Mein erster Alkoholrausch
Achtzehn. Ouzo-Wette. Ich war dumm. Nie wieder habe ich später „zuviel“ getrunken. Beim Limit war dann immer „Stopp!“.

Mein erster illegaler Drogenkonsum
Shit. Zwanzig. Ein amerikanischer Freund in Hamburg bot es mir an. Es war gut. Aber es reichte mir. Ich musste ihn dann noch völlig bekifft am nächsten Morgen zum Flughafen fahren. Ich fuhr nicht. Ich flog schon selbst.

Mein erstes Begräbnis
Meine Lehrerin für türkische Literatur. Wir waren vierzehn.

Meine erste Hochzeit
In meiner ersten Schulwoche in Istanbul. Die Deutsche Schule war genau neben einem Standesamt. Jede Woche haben wir fast fünf Jahre lang Hochzeit gefeiert. Bei meinen eigenen viel später war ich dann gut in Übung.

Mein erstes Mal als Erwachsener
Führerscheinprüfung zum Achzehnten.

Das erste Mal, wo ich von mir selbst beeindruckt war
Als ich ein selbstgeschriebenes Fortran-Programm an ein Hamburger Marktforschungsinstitut verkauft hatte und dafür Geld bekam.

Mein erster schlechter Haarschnitt
Hatte ich gute Haarschnitte? Ich habe Wirbel im Haar. Und der Frisuer muss schon gut sein. Es hat als Erwachsener länger gedauert bis ich gute Friseurinnen kennengelernt habe. Eine habe ich dann geheiratet. Meine zweite Ehe.

Mein erstes Kleidungsstück, dass ich geliebt habe
Baggy Pants. Ich habe sie getragen bis sie auseinanderfielen. Der Stoff war es. Heute ist es eine schwarze Bermuda. Auch hier: Der Stoff. Leinen. Ich liebe guten und schönen Stoff. Gutes und interessantes Material. Ein guter Schnitt ohne guten Stoff nützt nichts. Bin auch ein Papierfreak. Ich liebte die Musterpapiere meines Vaters.

Das erste Mal, dass ich merkte, dass ich nicht so war wie die anderen
An der dänischen Grenze. Ich fuhr mit drei Freunden nach dem Abitur nach Dänemark. Ich sass hinten. An der Passkontrolle schaute mich der Däne schräg heimlich von der Seite an und fragte unseren Fahrer: „Wo haben sie denn den her?“. Ich schämte mich. Es war mir nie vorher aufgefallen bei allen Visa, die ich damals beantragen musste. Zum ersten Mal fühlte ich mich als Bürger zweiter Klasse. Als Ausländer. Das ist mir nie wieder passiert. An keiner Grenze der Welt.

Meine erste Begegnung mit einem Computer
Im Informatikstudium. Wir mussten unsere mit Lochkarten gestanzten Programme durch eine kleine Klappe ins Rechenzentrum schieben und einen Tag warten bis wir unser Ergebis an einer Art Zeitungständer in einem anderen Raum abholen konnten, Mein erstes Programm verursachte eine Endlosschleife mit einem Endlosdruck. Der Operator schrie in den Raum, wer das denn sei und haute mir den riesen Papierstapel um die Ohren. Ich hatte für mindestens vier Semester Schmierpapier.

[PS: Übrigens, dies ist kein Stöckchen. Aber wer es bis hierher geschafft hat, kann natürlich diese Liste mit den 40 Punkten wie eines auffassen. Aber bitte, dann meine Creative Commons Lizenz respektieren. Danke …]

9 Kommentare zu „40 Mal, Erstes Mal

  1. Bin gespannt wie oft die ersten 40 Mal nach Roberts Blog Tuning Tip nun in anderen Blogs auftauchen:)
    Obwohl die Idee ja auch echt lustig ist!
    Heute Abend lese ich mir dann mal den Rest durch für mehr als 5 Einträge hatte ich gerade keine Zeit.

  2. Interessante Punkte. Hast mir doch glatt 5 Minuten der Arbeitszeit geraubt :).

    Das ist jedoch wahr. Als Ausländer fühlt man sich als Bürger zweiter Klasse, vorallem bei der Stellensuche.

  3. sehr private sachen, und dabei sehr gut gewählt und geschrieben. wundervoller post, danke.

    .~.

  4. ich verstehe deine cc-lizenz nicht ganz. wenn ich nur die fragen nehme, dann hätte ich dein werk ja „geändert“?! und unter namensnennung verstehst du, dass ich dann auf dich hinweisen müsste, wenn ich auch so einen „40 mal erstes Mal“-Eintrag machen würde?

  5. Hallo Gabi, das ist ein Missverständnis. Natürlich kannst du etwas Vergleichbares in deinem Blog schreiben. Natürlich auch mit den Rubriken, die ich verwendet habe. Die cc-Lizenz bezieht sich nur daruf, das die Texte bei mir nicht kommerziell genutzt werden sollen und wenn sie jemand zitiert, bitte die Quelle per Link angeben und zurück verlinken.

    Nett ist natürlich, wenn du etwas scheibst, hierher zurück verlinkst, damit ich und die anderen Leser auch deinen Text lesen können. Bin also jetzt gespannt. Viel Erfolg!

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