Microblogging, Blogs, Wikis, Foren, Chats – Die Unterschiede (Updates)

Im Web haben sich in den vergangenen Jahren einige grundlegende Kommunikationsformen etabliert. Jede dieser Formen hat seinen eigenen Schwerpunkt. Nicht jedem sind diese Unterschiede auf den ersten Blick sofort deutlich. Die Grenzen zwischen diesen Formen sind fliessend, wobei jede seine eigene Berechtigung hat. Durch die unterschiedlichen Verhaltensmuster in der Kommunikation der Nutzer auf diesen verschiedenen Plattformtypen ergeben sich kontinuierlich auch eine Reihe von neuen Mischformen. Der Gebrauch diktiert den Nutzen für den einzelnen dabei. So entsteht ein einziger grosser, reichhaltiger und vernetzter Kommunikationsraum, der sich ständig erweitert, ändert, durchmischt und sich den Gewohnheiten der Nutzer anpasst. Ich nenne diesen Raum, der alle diese Strukturen in sich vereint und alle Nutzer im Web miteinander ins Gespräch bringt, einfach „die Sphäre“.

Gehen wir fünf Grundmuster der Sphäre einmal exemplarisch kurz durch:

  1. Chats verkörpern einen „privaten“ Kommunikationsfluss zwischen zwei oder mehr eingeladenen Gesprächsteilnehmern. Sie finden adhoc und in Echtzeit statt. Es gibt keinen öffentlichen Raum, wo andere den Chatverlauf verfolgen können. Chats sind private Unterhaltungen unter Ausschluss der allgemeinen grossen Öffentlichkeit. Einzelne Chatverläufe können individuell von den Nutzern gespeichert und gesichert werden.
  2. Foren dienen der öffentlichen thematischen „Diskussion“. Foren sind organisiert in Kategorien, unter die jedes Forenmitglied ein Thema posten kann. Alle Forenmitglieder können sich zu diesem Thema äussern. Alle zusammengehörigen Diskussionsbeiträge zu einem Thema stehen chronologisch untereinander. Dadurch lassen sich gut Diskurse zu komplexeren Themen von allen auch über einen langen Zeitraum verfolgen und vertiefen. Alle Forenteilnehmer sehen i.d.R. alle Beiträge. Der Diskussionsverlauf ist ständig allen präsent. Foren sind starr hierachisch organisiert: Kategorie, Thema, Diskussionsbeitrag. Foren werden von Dritten angeboten und betrieben. Nutzer sind Teilnehmer. 
  3. Wikis sind ein Mittel, um „gemeinschaftlich“ (gesichertes) Wissen auf einzelnen Webseiten zu aggregieren und der Öffentlichkeit einfach zugänglich zu machen. Eine sehr produktive und effiziente Methode, geordnet aber selbstorganisiert durch die Autoren, Wissen mit anderen zu teilen. Hier geht es nicht um das Gespräch oder die Diskussion in erster Linie, sondern um die systematische Darstellung von Knowhow. Die Diskussion um die möglicherweise strittigen Inhalte findet hier auf speziellen Seiten statt oder mit Hilfe der anderen Kommunikationsformen. Ein Wiki dient in erster Linie der Dokumentation.
  4. Blogs sind momentan die reichhaltigste Form im Web für ein „individuelle“ Person sich im Web sehr persönlich auszudrücken. Jedes Blog gehört dem Inhaber des Blogs und steht in seiner alleinigen Verantwortung. Gemeinschaftliche Blogs können natürlich auch vorkommen. Ein Blog erlaubt seinem Inhaber jede Freiheit. Es ist im Prinzip die Heimat eines Netizen. Durch die Kommentare der anderen zu den Blogbeiträgen entstehen Diskussionen. Durch Verlinkung und Backlinks zwischen Blogs und anderen Kommunikationsformen ensteht ein äusserst komplexer Raum. Blogs sind in meinen Augen die Schwergewichte, wichtigsten Fixpunkte und Ankerpunkte in der Sphäre. Das Geflecht der Blogs ist das Rückgrat der Sphäre. Ohne sie würde wahrscheinlich die Sphäre zu einem flüchtigen Gebilde.
  5. Microblogging ist ein „öffentlicher“ Kommunikationsfluss von kurzen Statusmeldungen an alle Abonnenten einer individuellen Person. Beim Microblogging sehe und lese ich nur die Messages von den Leuten die ich abonniert habe. Von den anderen nicht. Durch die wechselseitigen Abos entsteht ein Kreis von „Freunden“ der ständig in Kontakt und über den Status der anderen immer informiert ist. Die Messages sind dabei kurz und idealerweise prägnant. Beim Forum dagegen sehe ich alle Messages von allen zu allen Themen. Beim Microbloging ist der kontinuierliche persönliche Strom der Nachrichten rein zeitlich geordnet. Die thematische Ordnung kann beim Microblogging durch “#hashtags” hergestellt werden. Natürlich ergeben sich beim Microblogging auch chat-ähnliche Situationen. Diese sind aber öffentlich. Das Wort „Microblogging“ täuscht etwas: Es ist in Wahrheit ein Messagingmedium, das aber eine rudimentäre blog-ähnliche Oberfläche hat. Die komplette Technologie für die Realisierung dadrunter ist reinrassige Messaging-Technologie. „Micromessaging“ dazu zu sagen, wäre eigentlich angebrachter.

Das Ganze wird noch angereichert durch diverse sogenannte Social oder Business Netzwerke, den mehr oder weniger vernetzten elektronischen Visitenkarten, durch unzählige Foto-, Video- und Audi-Sites im Web, Social Bookmarkings sowie natürlich durch eine unüberschaubare Anzahl von klassischen Websites. Aber Motor und Triebkraft des Web sind für mich die obengenannten fünf Kommunikationsformen. Sie sind eigentlich das Web wie wir es heute empfinden, erleben, erfahren, gestalten und nutzen. Das Web erweitert unsere Fähigkeiten und die Reichweite zu kommunizieren. Über jeden Raum und jede Zeit. Das ist das gemeinsame aller dieser fünf Kommunikationsformen. Die richtige Mischung macht’s für jeden einzelnen.

Und wir sind erst am Anfang.

Nachträglicher Linktipp: Christian Henner-Fehr hat ebenfalls eine ähnliche Fragestellung untersucht in Der Unterschied zwischen Foren, Blogs und Social Networks. Mit der Bitte um die geschätzte Aufmerksamkeit. [Witzigerweise hat er das gleiche WordPress-Theme wie ich seit zwei Tagen…]

Update: Sean Carmody, Sydney, Australia, has translated and adapted my humble thoughts into English and posted them on his blog StubbornMule. Thank you for translating and mentioning, Sean! It’s an honour :-)

38 Kommentare zu „Microblogging, Blogs, Wikis, Foren, Chats – Die Unterschiede (Updates)

  1. Sehr schön, nur bei Chats regt sich bei mir Widerspruch. Es sei denn, du meinst ausschliesslich den Chat via Messenger. Der ist dann tatsächlich erstmal in einem „privaten“ Raum. Der klassische Chat findet jedoch im öffentlichen Raum statt. Je nach Chatsystem ist auch das Erstellen von privaten Räumen möglich, ebenso wie die nicht-öffentliche Flüsterfunktion, die in vielen Chats private Gespräche im öffentlichen Raum zulassen.

  2. Als ich mich letztens mit einem befreundeten Künstler, der auch eine eigene Seite hat und nun über ein Blog nachdenkt, unterhielt, wurde mir bei der Frage, wie man den nun auf einem Blog chattet, mal wieder schlagartig bewusst, dass es „da draussen“ noch eine andere Welt gibt.

    Dein kurzer Abriss ist wunderbar und ich werde ihn nun an all jene senden (oder ausdrucken, wenn es sein muss) die mir mit solchen Fragen kommen. Schneller und einfacher kann man es wohl kaum erklären.

    Dank für Deine Arbeit.

  3. Wenn man Chats und Instant Messenger noch trennt kommt man auf 6 Grundformen. Nimmt man noch die Mutter aller Kriege… ähhh Flamewars dazu, das gute alte Usenet, kommen wir auf 7. 6 x 7 = 42 und damit hätten wir auch gleich die Mutter aller Antworten.

  4. Ich schaue auf die Dinge aus der Ecke der Kompetenzentwicklung und Wissensvermittlung, darum ein paar kleine Ergänzungen:

    Gruppenchats wie IRC oder Jabber-MUCs haben eine recht große Ähnlichkeit zu Foren: eine öffentliche, thematische Kommunikation. Hauptunterschied: Chats sind synchron, Foren sind asynchron. Beide haben den Nachteil, das dort abgebildetes Know-How nicht später nicht mehr so einfach zu finden ist.

    Wikis halte ich ebenfalls für eine Form der Kommunikation. Viele kennen Wikis nur von der Wikipedia. Doch dort wird das Wikiprinzip ja nur für einen kleinen Spezialfall benutzt. In Unternehmen eignen sich Wikis zum Beispiel wunderbar als Austauschplattformen für Teams, zum Projektmanagement oder auch zur Gruppenarbeit. Im Grunde ist die Idee eines Wikieinsatzes in Unternehmen gar nicht so weit weg von deinem Projekt Brokerz, nämlich vorhandes Know-How in Form von impliziten Wissen zu externalisieren und anderen verfügbar zu machen.

    -Tim

  5. Kurz und knackig, super Beitrag.
    Ich denke nur, das die Social Networks bei dir zu kurz kommen, den diese sind inzwischen sehr Populär und Wichtig geworden.
    Inzwischen nutzen die meisten Social Networks um Beziehungen darzustellen (wer kennt wen) und Kontakte auch online weiter führen zu können.

  6. Sehr interessante Sichtweise, wobei „Boogie“ ja schon auf die Thematik der Chats reagiert hat.
    Da ich mich damit nicht befasst habe, tipp ich mal, dieses Microblogging bezieht sich auf das „Twittern“, oder?

    Persönlich halte ich Blogs für die beste Möglichkeit, seine Ideen, Gedanken, Meinungen einem allgemeinen Publikum bekannt zu machen.
    Foren stehen ja nur Mitgliedern komplett offen. In manchen Foren ist man dem „Wohlwollen“ der Moderatoren bzw. des Admins unterworfen sowie so manchen Zeitgenossen, die glauben, in der relativen Anonymität des Internets bzw. des Forums sich wie die Axt im Walde benehmen zu müssen. Daher hab ich mich auch aus den meisten Foren zurück gezogen.

  7. @wortmann, Microblogging bezieht sich auf alle Microblogging-Plattformen wie identi.ca, Jaiku, Pownce, Plurk,… und natürlich auch Twitter.

  8. „Das Geflecht der Blogs ist das Rückgrat der Sphäre. Ohne sie würde wahrscheinlich die Sphäre zu einem flüchtigen Gebilde.“, ein interessanter Zusammenhang wie ich finde.

  9. Ich warte ja noch auf eine Untersuchung aus Textlinguistischer Sicht, da ich glaube, daß diese etwas stichhaltiger wäre als die übliche Unterscheidung nach Übertragungskanal bzw. Technik. Blogs sind z.B. keine homogene Menge und auch Mircotextualisierungsdienste werden verschieden genutzt (Statusmeldung vs. Chatersatz). Also liebe Linguisten, gebt euch mal einen Ruck ;)

  10. @Christian, deinen Artikel habe ich nachträglich als Linktipp in meinem Artikel angegeben. Interessant, dass wir auf eine ähnliche Fragestellung kamen. Auch interessant, dass wir das gleiche WP Theme benutzen :-)

  11. @Cem: oh das ist nett, danke :-( Was mich beim Thema Chat interessiert ist die Frage, wann und wozu ich ihn einsetze? Wobei es mir mehr um die öffentlichen Chats geht, denn der Privatchat ist so ähnlich wie ein Telefongespräch. Aber da habe ich keine wirkliche Antwort darauf.

    Beim Microblogging ist es etwas leichter: in meinen Augen ist Microblogging z.B. in Krisenzeiten besonders gut einsetzbar, wenn es um kurze, zeitnahe Infos geht, siehe das Rote Kreuz in den USA mit ihrem Twitterkanal .

  12. IRC m.E. oft zum Austausch über bestimmte Themen (von Hobby über Selbsthilfegruppenartiges bis zur Kaufberatung) und auch viel direkter Support (z.B. Hilfe bei Programmiersprachen, Software, aber auch direkte Rückmeldung (Bugreports etc.)) – im Gegensatz zu Microblogging also bidirektionaler, also wie gesagt: forenähnlich, aber mit direkter Rückmeldung.
    Wenn ich also auf eine Frage eine direkte Antwort brauche, eine Foren/Newsgroup/Maillinglisten-antwort morgen oder übermorgen nicht reicht, weil dann evtl. der Grund für die Frage gar nicht mehr existiert, greif ich zum Chat.

  13. @ Julius: vielen Dank! D.h. ein Chat macht dann Sinn, wenn entweder der Kontakt schon besteht oder es um ein Problem geht, das zeitnah gelöst werden muss. Außerdem steht der Chat als Tool zwischen Microblogging und Foren, oder?

  14. @Christian: Chat erlaubt eine (Gruppen-) Dynamik, die man dazu nutzen kann, in sehr kurzer Zeit zum Beispiel ein Arbeitsergebnis zu erzielen. Ich würde Chat übrigens in der Einordnung /vor/ das Microblogging plazieren: Chat, Microblogging, Foren.

    Chat hat einen sehr starken Motivationscharakter, weil nämlich im Idealfall eine unmittelbare Reaktion auf das eigene Wort erfolgt. Nicht umsonst ist IRC seit vielen Jahren so beliebt. Übrigens hat Evan von Identica angedeutet, dass er an einem IRC-Microblogging-Gateway arbeitet, was ich ziemlich cool finde. Das, was ich im IRC-Channel schreibe erscheint dann automatisch auf Identica.

  15. @Cem: It was a pleasure translating your thoughts…I thought it was an excellent summary.

  16. schöne zusammenstellung. die bezeichnung „microblogging“ finde ich auch irreführend, es sit ein hybrid aus messaging und persönlichem posten. vielleicht können wir um den namen für „microblogging“ an anderer stelle diskutieren (oder kennt ihr schon diskussionen dazu?)

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